Logo 2xDeutschland

Sozialpolitik in der BRD

Sozialpolitik in der DDR

Der Marshall-Plan und die US-Strategie gegenüber Europa 1947/48

 

Dr. Reiner Zilkenat, Hoppegarten

 

Am 3. April 1948 unterzeichnete Präsident Harry S. Truman ein Gesetz, das europäischen Ländern im Rahmen eines „European Recovery Program“ (ERP) in den kommenden Jahren die Lieferung unterschiedlicher Güter im Werte vieler Milliarden Dollar versprach. Am Tag zuvor hatten beide Häuser des Kongresses ihre Zustimmung erklärt. Zeitgleich verließen Frachtschiffe mit Weizen, Lebensmitteln, Öl und Maschinen US-amerikanische Häfen und nahmen eiligst Kurs auf Italien. Welche Motive existierten zu Beginn des Jahres 1948, um ein derartiges Gesetz durch die Washingtoner Instanzen zu peitschen?

 

Linke Kräfte in Europa gewinnen an Einfluss

Seit der Befreiung vom Faschismus war in vielen Ländern Europas die Stärkung linker Kräfte, nicht zuletzt der kommunistischen Parteien, ein charakteristisches Merkmal der politischen Szenerie. Nicht nur in den Staaten, die von Truppen der Roten Armee befreit worden waren, sondern z. B. auch in Griechenland, in Italien und Frankreich1 verfügten die Kommunisten über erheblichen Einfluss. Bei den Wahlen der Jahre 1945/46 konnten sie etwa ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen und entsandten Minister in die Regierung. In Paris amtierte Maurice Thorez sogar vom November 1945 bis zum Mai 1947 in mehreren Kabinetten als stellvertretender Ministerpräsident. Es kam hinzu: In Großbritannien regierte seit Juni 1945 die Labour Party, deren linker Flügel die Sozialisierungspläne und die sozialpolitische Gesetzgebung des Kabinetts Clement Attlee auszuweiten und zu beschleunigen versuchte sowie auf eine Politik guter Beziehungen mit der UdSSR orientierte.

Kurzum: Der „Zug nach links“ in vielen europäischen Ländern und die gewachsene Reputation der Sowjetunion, deren entscheidender Beitrag zur Zerschlagung des Hitlerfaschismus im Bewusstsein vieler Millionen Menschen außer Zweifel stand, bereitete den Regierenden in Washington erhebliches Kopfzerbrechen. Sie hatten die Frage zu beantworten, mit welchen Mitteln eine europäische Nachkriegsordnung organisiert werden könnte, die den politischen, militär-strategischen und ökonomischen Interessen des US-Imperialismus am besten dienen konnte sowie den Einfluss linker Kräfte zurückzudrängen und die UdSSR auf die Rolle eines ohnmächtigen Zuschauers zu verweisen imstande war.

Mit der von Präsident Harry S. Truman am 12. März 1947 vor beiden Häusern des Kongresses verkündeten Doktrin, der zufolge die USA zukünftig „freie Völker unterstützen“ und ihnen helfen würde, „Unterjochungsmaßnahmen durch bewaffnete Minderheiten oder Druck von außen“2 durch die Gewährung von wirtschaftlicher und militärischer Hilfe zu widerstehen, war offensichtlich geworden, dass die USA die Zeichen auf Konfrontation gestellt hatten. Der Anlass für die Verkündung der „Truman-Doktrin“ bildete der Bürgerkrieg in Griechenland, bei dem die Kommunisten auf Seiten der Nationalen Befreiungsfront (EAM) gegen die reaktionäre Oligarchie sowie die im Lande stationierten britischen Einheiten kämpften.3

Insgesamt war unübersehbar: Der Kalte Krieg war im Laufe des Jahres 1947 zur dominierenden Tendenz der internationalen Beziehungen geworden.4 Der Historiker Wolfgang Benz nennt die Truman-Doktrin zutreffend „eine amerikanische Demonstration gegen Stalin“5, der US-amerikanische Senator Edwin Carl Jackson, ein scharfer außenpolitischer Opponent Trumans, formulierte vor dem Kongress am 22. April 1947 sogar, dass die vom Präsidenten verkündete Doktrin „eine Art Kriegserklärung an die Sowjetunion“6 bedeute. Auf jeden Fall leisteten die USA fortan anstelle Großbritanniens, das seine Streitkräfte aus Griechenland wegen der prekären Lage seiner Staatsfinanzen abziehen musste, massive finanzielle und militärische Hilfe an die reaktionären politischen Kräfte Griechenlands, deren Streitkräfte mit Waffen und Munition ausgestattet, aber auch von US-amerikanischen Militärberatern und Ausbildern unterwiesen wurden.

Auch in den anderen Ländern Westeuropas verstetigte sich die Militärpräsenz der Vereinigten Staaten, besonders in Großbritannien, wo die U.S. Air Force mehrere Stützpunkte für ihre strategischen Bomber, die Atomwaffen ins Ziel tragen konnten, in Betrieb nahmen.7 Zugleich wurde mit der permanenten Stationierung von Kriegsschiffen im Mittelmeer (6. US-Flotte), darunter auch von Flugzeugträgern, begonnen.8

 

Abhängigkeiten werden mit Dollar-Milliarden erkauft

Dennoch war die Truman-Doktrin allein nicht ausreichend, um dem US-Imperialismus genehme Verhältnisse in Europa zu verschaffen. Er musste in Rechnung stellen, dass in den meisten Ländern des Kontinents als Resultat des Zweiten Weltkrieges elende wirtschaftliche Verhältnisse, Hunger und Entbehrungen, Inflation und Massenarbeitslosigkeit herrschten, ja teilweise sogar Staatsbankrotte drohten. Es fehlte nicht zuletzt an Devisen, um Lebensmittel und dringend benötigte Rohstoffe einkaufen zu können. Bereits seit dem Kriegsende hatten die USA verschiedenen europäischen Staaten Kredite gewährt und unterschiedliche Güter, vor allem Lebensmittel, gesandt. Der Zweck dieser Lieferungen und Darlehen war jedoch nicht karitativer Art, sondern dem machtpolitischen Kalkül der Truman-Administration entsprungen. Einerseits sollten die USA in den Augen der Bevölkerung als „Retter in der Not“ wahrgenommen werden, andererseits war intendiert, die Regierungen der betreffenden Länder in eine politische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu versetzen. Der französische Ministerpräsident Paul Ramadier fasste diesen Sachverhalt im Mai 1947 in die Worte: „Mit jedem Kredit, den wir bekommen, verlieren wir ein wenig von unserer Unabhängigkeit.“9 Dollar-Darlehen erhielten z. B. Norwegen (50 Millionen), Frankreich (mehr als 1,3 Milliarden), Großbritannien (mehr als 4 Milliarden), Griechenland (250 Millionen) und die Türkei (150 Millionen).10 Die Bedingungen dieser Kredite lauteten allerdings: Die genannten Summen durften vollständig oder weit überwiegend nur für in den USA gekaufte Waren genutzt werden. Ihr Transport über den Atlantik musste mit Handelsschiffen unter der US-Flagge erfolgen.11 Diese finanziellen und Warentransaktionen hatten aus der Sicht der Truman-Administration jedoch einen entscheidenden Mangel: Es fehlte ihnen die Systematik und die Langfristigkeit. Hierzu bedurfte es eines Planes, der auf längere Sicht die Summen, Verteilungsmechanismen und Konditionen festlegte, mit denen die US-Regierung und die europäischen Staaten kalkulieren konnten. Um diese Anliegen zu erreichen, wurde der „Marshall-Plan“ aus der Taufe gehoben, benannt nach Außenminister George C. Marshall, der in einer Rede vor Studenten der Harvard-Universität am 5. Juni 1947 die Grundzüge des Programms skizzierte, dessen proklamiertes Ziel in der ökonomischen Erholung der westeuropäischen Länder bestand. Allerdings waren von Beginn an drei Probleme in Rechnung zu stellen:

Erstens gab es im Kongress starke Bedenken gegen ein weitreichendes finanzielles, politisches und militärisches Engagement der USA in Europa. Bis zuletzt artikulierten sich einflussreiche Stimmen, die eine Verwendung der für den „Marshall-Plan“ vorgesehenen Gelder für eine Unterstützung einheimischer Unternehmen und Farmer bevorzugten. Es war also notwendig, ein dominantes antisowjetisches und antikommunistisches Klima zu erzeugen, das auch vor den Deputierten auf dem Capitol, besonders aber vor ihren Wählerinnen und Wählern, nicht Halt machte. Deshalb wurde das Gespenst eines möglichen Angriffs der UdSSR gegenüber Europa, ja sogar gegenüber den USA mit Hilfe eines medialen Trommelfeuers an die Wand gemalt.

Zweitens war von vornherein das Angebot an die UdSSR, am „European Recovery Programme“ teilzunehmen, niemals ernsthaft erwogen worden. Die Einbeziehung der Sowjetunion hätte auch nichts anderes bedeutet, als ihre Politik den Imperativen des US-Imperialismus unterzuordnen. Walt W. Rostow, Ökonomie-Professor und von 1966 bis 1969 Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Lyndon B. Johnson, formulierte in der Rückschau realistisch, dass im Falle der Zustimmung der Sowjetunion zum Marshall-Plan der Kongress das gesamte Projekt abgelehnt hätte.12

Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow verließ am 2. Juli 1947 mit seiner Delegation, zu der nicht weniger als 89 Wirtschaftsexperten gehörten, nach erfolglosen Verhandlungen die Pariser „Marshall-Plan-Konferenz“. Tatsächlich stellte, wie David Horowitz schreibt, „vom Standpunkt der Sowjets“ der Marshall-Plan „eine ernsthafte Bedrohung ihrer Interessen“13 dar und erforderte eine strikte Zurückweisung. „Stalin und Molotow“, so formuliert es der US-amerikanische Historiker Melvyn P. Leffler, „hatten Grund, misstrauisch zu sein. Clayton14 teilte Bevin15 mit, dass Sowjet-Russland seine Politik gegenüber Europa ändern müsste, falls es darauf Wert lege, Hilfe von den USA zu erhalten. Selbst wenn es Russland gestattet werden würde, am Marshall-Plan teilzunehmen, so waren Clayton und Kennan16 überzeugt, hätte es die grundsätzliche Funktion zu erfüllen, als Spender von Rohstoffen zu dienen, um die Wiederherstellung der Ökonomie Westeuropas zu beschleunigen.“17

Drittens war die Einbeziehung der Westzonen des von den Alliierten besetzten Deutschlands in den Marshall-Plan strittig. Sie traf besonders auf ernsthafte Bedenken und die Ablehnung nicht nur der UdSSR, sondern auch Frankreichs, das seine ökonomischen und Sicherheitsinteressen als gefährdet ansah. Für die Truman-Administration wiederum war die Einbeziehung des industriellen und des Rohstoffpotenzials der Westzonen als eines unverzichtbaren Faktors bei der Aufrichtung einer antisowjetischen Front in Europa nicht verhandelbar. Deshalb war letztlich die französische Regierung, die dringend auf Kredite und Waren aus den USA angewiesen war, gezwungen, ihren Widerstand aufzugeben.

 

Freie Wahlen“ in Italien: CIA und katholischer Klerus Hand in Hand

Die Verabschiedung des Marshall-Planes wurde im Frühjahr 1948 nach einigen Verzögerungen plötzlich beschleunigt. Als Katalysator wirkten die in Italien am 18. und 19. April 1948 bevorstehenden Parlamentswahlen, bei denen ein großer Erfolg der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) bevorzustehen schien. In Washington, so schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, „brannte die Zeit und das Datum der italienischen Wahlen auf den Nägeln.“18

Die Ankündigung, dass Italien zukünftig mit umfangreichen Hilfslieferungen und Krediten der USA rechnen könne, wurde mit der Drohung ergänzt, dass dies nicht für den Fall einer von Kommunisten geführten Regierung gelten werde. Außenminister Marshall erklärte am 19. März 1948 in einer Rede an der Universität von California, dass, falls die IKP die Wahlen gewinnen würde, „die Regierung der USA aus einem solchen Wahlergebnis den Schluss ziehen müssen, dass Italien von sich aus vom ERP zurücktreten wolle.“19 Der Spitzenkandidat der antikommunistischen „Democrazia Cristiana“ (DC), Alcide de Gasperi, fügte am 11. März 1948 solchen Drohungen die folgenden zynischen Worte hinzu: „Die Sowjetunion habe Italien niemals Getreide als Geschenk oder gegen Bezahlung angeboten. Die Brotration könne ohne amerikanischen Weizen ebenso wenig aufrechterhalten werden wie die Wirtschaft ohne amerikanische Kohle, Erdöl und Rohstoffe.“20 Aber es blieb nicht allein bei derartigen Drohungen und Zynismen.

Zugleich wurde die im Vorjahr gegründete Central Intelligence Agency (CIA) beauftragt, insgeheim Aktionen in Italien durchzuführen bzw. Aktivitäten antikommunistischer Kräfte zu unterstützen, um den Wahlerfolg der IKP zu vereiteln. Die Erzielung der politischen Abhängigkeit mit Hilfe von Warenlieferungen und großzügig bemessenen Darlehen wurde jetzt flankiert durch die Manipulation von Wahlen. Welcher Methoden bedienten sich die USA?

In Rom koordinierten Agenten der CIA den Wahlkampf der „Democrazia Cristiana“ (DC), wozu der Einsatz von nicht weniger als zehn Millionen Dollar einen erheblichen Beitrag leistete. Diese großzügig bemessene Summe floss nicht nur aus US-amerikanischen Regierungsquellen, sondern sie fand ihre verschlungenen Wege von wohlhabenden Geschäftsleuten und Bankiers der Wallstreet auf Konten in Italien und von dort in die Kassen der DC.21

Damit nicht genug: Der Vatikan und die italienische katholische Kirche machten mobil und organisierten Versammlungen einer „Katholischen Aktion“, in denen Priester eine Zukunft Italiens unter Führung der IKP in den denkbar schwärzesten Farben malten. „Innerhalb von 30 Tagen“, so meldete es der Korrespondent der „Neuen Zeitung“, „wurden in den 300 italienischen Diözesen und 18.000 Pfarrämtern Ausschüsse organisiert. Die Mitgliederzahl der Katholischen Aktion stieg auf 2 Millionen Menschen…“22 Kardinal Schubert, der Erzbischof von Mailand, hatte am 23. Februar 1948 erklärt: „Personen, die dem Kommunismus oder anderen, dem katholischen Bekenntnis entgegenstehenden Bewegungen angehören, seien vom kirchlichen Leben und vom Empfang der Sakramente auszuschließen.“23

Den Höhepunkt der Einmischungen der katholischen Kirche in den italienischen Wahlkampf stellte zweifellos die Ansprache von Papst Pius XII. vor der Erteilung des Ostersegens am 28. März 1948 dar. Er führte unter anderem aus: „In diesem Jahr der Sorgen und Gefahren, in einem an Entscheidungen und unwiderruflichen Weltereignissen reichen Augenblick, lege sich auf die gläubigen Scharen Roms ein düsterer Schatten und eine geheimnisvolle Erwartung. Wer nicht blind sei, sehe, dass Rom, die Hüterin der Kultur und der ewigen Lebenswerte, jetzt inmitten einer Zeitenwende stehe, die von Haupt und Gliedern der Christenheit höchste Wachsamkeit, Bereitschaft und Tatkraft fordere. Die große Stunde des christlichen Gewissens habe geschlagen. Entweder erwache es zum Bewusstsein seiner Sendung, dann werde sich das Versprechen des Erlösers erfüllen: Habt Vertrauen, ich habe die Welt besiegt; oder das Gewissen erwache nicht, dann gelte der Warnruf: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Man verstehe sehr wohl, was ein solcher Scheideweg bedeute, und die Vorsicht gelte für Rom, Italien und die ganze Welt. (…) Soziale Gerechtigkeit und Völkerfrieden würden nie erreicht, wenn man die Augen vor dem Lichte Christi verschließe, aber die Ohren für irreführende Agitatoren öffne. Die Kirche Roms sei in diesen Tagen Gegenstand ungerechtester Angriffe geworden. Man behaupte, sie sei reaktionär.“24 Soweit die Beispiele für die skandalöse Einmischung der katholischen Kirche in den Wahlkampf des Jahres 1948.

Durchaus wirkungsvoll waren auch die massenhaft verschickten Briefe, die von Italo-Amerikanern an ihre Verwandten geschrieben wurden. In ihnen wurde im Falle eines Wahlsieges der IKP das wirtschaftliche Chaos wegen der zu erwartenden Weigerung Washingtons, weitere finanzielle Mittel und Hilfsgüter für die italienische Wirtschaft und Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, in Aussicht gestellt. Um das Bild zu komplettieren:

Am 4. April fand in Rom „eine Parade von 25.000 Mann mit schwerer Artillerie, Panzern und motorisierten Einheiten erstmalig seit Kriegsende statt.“25 Am gleichen Tage warnte der Innenminister vor einem angeblich geplanten bewaffneten Aufstand der Kommunisten sowie vor einer Behinderung der Wahlen, wogegen er 150.000 Soldaten und Polizisten einsetzen könne; weitere 170.000 stünden in Reserve.

Das Resultat der Wahlen führte schließlich zu den gewünschten Ergebnissen: 48,7 Prozent der Stimmen waren für die DC abgegeben worden, 30,7 Prozent zugunsten der IKP und der mit ihnen verbündeten Linkssozialisten („Nenni-Sozialisten“). Die von den britischen Besatzungsbehörden lizenzierte „Welt“ stellte als Resultat der Wahlen fest: „Zugleich mit de Gasperi hat auch der gesamte Westen im Süden eine Schlacht gewonnen.“26 Und der neue Ministerpräsident zeigte spätestens ein halbes Jahr später, wes Geistes Kind er war: „Der Welt drohe ein neuer Krieg, weil Russland Europa mit Hilfe seiner fünften Kolonne umgestalten wolle.“27

Die Existenz der „fünften CIA-Kolonne“, die maßgeblich zu seinem Wahlsieg beigetragen hatte, verschwieg de Gasperi absichtsvoll. Im Übrigen: Die unheilige Allianz, bestehend aus dem Vatikan, US-amerikanischen Geheimdiensten und der Democrazia Cristiana sollte auch zukünftig ein Strukturmerkmal des politischen Systems in Italien bleiben.

 

Marshall-Plan spaltet Europa

Mit dem Marshall-Plan verbunden war die Teilung Europas in zwei gegensätzliche ökonomische Hälften. Er bedeutete zugleich einen wichtigen Beitrag zur Spaltung Deutschlands, das jetzt in zwei Wirtschaftsgebiete aufgeteilt wurde. Mit der „Währungsreform“ im Juni 1948 wurde in den Westzonen und in den westalliierten Sektoren Berlins die ökonomische Spaltung zementiert und die politische Spaltung präjudiziert.

Der Marshall-Plan und seine „Vorläufer-Programme“ gewährten den teilnehmenden Ländern von 1946 bis 1952 insgesamt 8,5 Milliarden Dollar an Krediten und ca. 22,7 Milliarden Dollar an nicht rückzahlbaren Leistungen. Zeitgleich erhielten westeuropäische Länder Militärhilfen in Höhe von ca. 3,5 Milliarden Dollar als „Geschenk“ für die Aufrüstung ihrer Streitkräfte.28

Der Preis, den die empfangenden Länder für die Marshall-Plan-Leistungen bezahlten, war hoch. Er bestand in der Einwilligung, sich fortan der Politik des US-Imperialismus zu unterwerfen.

1 Siehe hierzu die Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes der bürgerlichen Historiographie von Alessandro Brogi: Ending Grand Alliance. Politics in Western Europe: US Anti-communism in France and Italy, 1944-7, in: The Journal of Contemporary History, Vol.53, 2018, No.1, S.134ff.

2 Zitiert nach: Bernd Greiner u. Kurt Steinhaus: Auf dem Weg zum 3. Weltkrieg? Amerikanische Kriegspläne gegen die UdSSR – Eine Dokumentation, 2.Aufl., Köln 1981, Dok.8, S.101.

3 Siehe zur Lage in Griechenland nach Kriegsende und zu den Zielen der EAM siehe David Horowitz: Kalter Krieg. Hintergründe der US-Außenpolitik von Jalta bis Vietnam, Bd.1, (West-) Berlin 1973, S.55ff.

4 Siehe Bernd Greiner: Amerikanische Außenpolitik von Truman bis heute. Grundsatzdebatten und Strategiediskussionen, 2.Aufl., Köln 1982, S.21ff.

5 Wolfgang Benz: Berlin-Blockade und Weststaat-Gründung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 46.Jg., 1998, H.6, S.490.

6 Keesing’s Archiv der Gegenwart, XVI u. XVII.Jg., 1946/47, S.1086F.

7 Siehe hierzu die folgenden, unmittelbar aus den Quellen gearbeiten Beiträge von Ken Young: Special Weapon, Special Relationship: The Atomic Bomb Comes to Britain, in: The Journal of Military History, Vol.77, April 2013, No.1, S.569ff.; derselbe: US “Atomic Capability” and the British Forward Bases in the Early Cold War, in: The Journal of Contemporary History, Vol. 42, 2007, No.1, S.117ff.; derselbe: A Most Special Relationship. The Origins of Anglo-American Nuclear Strike Planning, in: The Cold War Studies, Vol.9, 2007, No.2, S.5ff. Bei der Lektüre der eben genannten Arbeiten entsteht gelegentlich der Eindruck, als hätten die politisch und militärisch Verantwortlichen in den USA ihren „strategischen Partner“ Großbritannien als bloßen Befehlsempfänger, ja fast als eine Kolonie der Vereinigten Staaten betrachtet.

8 Siehe Der Spiegel. Nr.6, 7.2.1948, S.8f.

9 Zitiert nach: Armin Wertz: Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA, Frankfurt a. M. 2017, S.105.

10 Siehe Der Spiegel, Nr.12, 22.3.1947, S.14; ebenda, Nr.38, 20.9.1947, S.15.

11 1947 betrug die Handelstonnage US-amerikanischer Frachtschiffe 56,6 Prozent der Handelstonnage weltweit. Siehe Der Spiegel, Nr.49, 6.12.1947, S.14.

12 Siehe David Horowitz: Kalter Krieg, S.65.

13 Ebenda, S.66.

14 William L. Clayton war 1946/47 Unterstaatssekretär für Wirtschaftsfragen im US-Außenministerium und diente danach der Regierung als Berater.

15 Ernest Bevin war britischer Außenminister.

16 George F. Kennan war Leiter des Planungsstabes im US-Außenministerium und galt es dessen führender Sowjet-Experte.

17 Melvyn P. Leffler: A Preponderance of Power. National Security, the Truman Administration, and the Cold War, Stanford University Press 1991, S.185. Übersetzung und Hervorhebung von mir-R.Z.

18 Der Spiegel, Nr.15, 10.4.1948, S.8.

19 Siehe Die Neue Zeitung. Eine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung (Berliner Ausgabe), Nr.22, 20.3.1948, S.1.

20 Keesing’s Archiv der Gegenwart, XVIII.Jg., 1948, S.1410f.K.

21 Siehe Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte, 7.Aufl., Frankfurt a. M. 2016, S.56f.

22 Die Neue Zeitung. Eine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung (Berliner Ausgabe), Nr.32, 24.4.1948, S.4. Siehe zur Rolle der Katholischen Kirche auch Patrick J. Houlihan: Global Catholicism’s Crusade against Communism, 1917-1963, in: Stefan Rinke u. Michael Wildt, Hrsg.: Revolutions and Counter-Revolutions. 1917 and ist Aftermath from a Global Perspective, Frankurt a. M. u. New York 2017, S.103ff., bes. 108.

23 Keesing’s Archiv der Gegenwart, XVIII.Jg., 1948, S.1394A.

24 Ebenda, S.1438B.

25 Ebenda, S.1447J.

26 Die Welt, Nr.47, 22.4.1948, S.2.

27 Die Welt, Nr.140, 27.11.1948, S.1. Dass der Ministerpräsident Italiens in dieser in Trient am 25.11. gehaltenen Rede auch die Rückgabe der italienischen Kolonien forderte, sei nur am Rande vermerkt.

28 Siehe die Tabelle „Foreign Economic and Military Aid Programs: 1946-1973“, in: Encyclopedia in American History. Bicentennial Edition, edited by Richard B. Morris u. Jeffrey B. Morris, New York u .a. 1976, S.469. Bei der „Militärhilfe” handelte es sich überwiegend um aus der Zeit der Zweiten Weltkrieges stammende, weitgehend veraltete Waffen sowie um Fahrzeuge und anderes Ausrüstungsmaterial, für das die US-Streitkräfte keine Verwendung mehr hatten. Siehe auch Der militärische Marshallplan. Ziel: Westeuropäisches Heer von 2 Millionen Mann, in: Die Welt, Nr.117, 2.10.1948, S.1.