Die Londoner Sechsmächte-Konferenz 1948 und die Spaltung Deutschlands
Reiner Zilkenat
Am 23. Februar 1948 begann im Londoner Regierungsviertel Westminster eine wegweisende internationale Konferenz, die bis zum 2. Juni andauern sollte. Ihr wichtigstes Resultat bestand in den „Londoner Empfehlungen“, die eine Spaltung Deutschlands durch die Schaffung eines westdeutschen Separatstaates beinhalteten. Zugleich besiegelte die Konferenz damit das Schicksal der Antihitlerkoalition und vertiefte die im eskalierenden Kalten Krieg entstandenen Gräben zwischen West und Ost.
USA streben nach weltweiter Dominanz
Seit 1946 hatte es zahlreiche Aktivitäten der US-Administration unter Präsident Harry S. Truman gegeben, die unmittelbar gegen die UdSSR gerichtet waren und den Kalten Krieg auslösten. Genannt seien an dieser Stelle die „Truman-Doktrin“ vom 12. März 1947, deren Ziel es war, die in vielen Ländern gestärkten Befreiungsbewegungen und demokratischen Kräfte mit allen Mitteln zu bekämpfen – auch mit militärischer Gewalt. Nur kurz darauf, am 5. Juni 1947, trat US-Außenminister George Marshall für die langfristige Gewährung groß dimensionierter Kredite und Warenlieferungen an europäische Staaten ein, wobei sich allerdings die beteiligten Länder den politischen und ökonomischen Imperativen des amerikanischen Imperialismus zu unterwerfen hatten. Schließlich war am 1. Januar 1947 im besetzten Deutschland eine aus der US-amerikanischen und der britischen Besatzungszone bestehende Bizone geschaffen worden, die bereits Keimzellen der Administration eines westdeutschen Separatstaates aufwies. Zeitgleich drangen aus Washington immer aggressivere Töne in Richtung Moskau, wurden vor allem die atomare Aufrüstung und der Aufbau eines Ringes militärischer Stützpunkte an den Grenzen der UdSSR mit großer Geschwindigkeit vorangetrieben. An dieser Stelle seien nur einige der entsprechenden Maßnahmen angeführt: Bereits im Sommer 1946 wurden mehrere Atombombenversuche beim Bikini- und Eniwetok-Atoll im Pazifik durchgeführt. Die Moskauer „Prawda“ schrieb am 3. Juli 1946 in einem Kommentar: „Die Bombe vernichtete etwas Wesentlicheres als einige veraltete Schiffe. Sie hat gründlich das Vertrauen zu dem Ernst der amerikanischen Gespräche über die Atomabrüstung untergraben.“ Und weiter: Am 2. Februar 1948 berichtete die Atomenergie-Behörde der USA dem Kongress, dass sie danach strebe, demnächst mit der „Massenproduktion“ von Atomwaffen zu beginnen. Nur einen Monat später teilte der Luftwaffenausschuss des Kongresses der Öffentlichkeit mit, „die politische Lage in der Welt könne jederzeit zu einem Krieg führen“ und verband dies mit dem Vorschlag, die USA-Streitkräfte müssten über 35.000 einsatzbereite Flugzeuge verfügen. Am 26. März 1948 erkläre Luftwaffenminister Symington, die neuen Bomber der U.S. Air Force seien in der Lage, „von Labrador und Alaska aus jeden Teil Russlands zu erreichen“. Am gleichen Tage meldete sich Heeresminister Royall zu Wort, indem er forderte, dass sich die „Angriffsbasen“ der US-amerikanischen Streitkräfte „auf dem Festland Eurasiens befinden und dem gegnerischen Lande sehr viel näher als unserem sein sollten“. Schließlich wurden im Juli 1948 60 Bomber des Typs B-29, die als Atombombenträger dienten, von den USA auf Stützpunkte nach Ostengland verlegt. Bereits am 14. April hatten nach einem 16stündigen Nonstopflug 27 B-29 Bomber von Neufundland aus den Münchner Flughafen erreicht. Von dort aus flogen die Maschinen, wiederum ohne aufzutanken, einen Scheinangriff auf den Suezkanal, um daran anschließend nach Berlin-Tempelhof zu fliegen. Genug der Beispiele. Wer hören wollte, konnte hören: Diese maßlose Aufrüstung, einschließlich der weltweiten Manöver und der damit zusammenhängenden Provokationen gegen die UdSSR, galt der Vorbereitung eines Krieges mit der Sowjetunion.
Von der Bizone zur BRD
An der Jahreswende 1947/48, kurz vor dem Beginn der Londoner Konferenz, hatte der US-Imperialismus eine beeindruckende militärische Drohkulisse gegenüber der Sowjetunion aufgerichtet, deren Hauptmerkmal in der exklusiven Verfügbarkeit von Nuklearwaffen und den für sie nötigen Trägermitteln bestand. Welche zukünftige Rolle war den Westzonen Deutschlands im Rahmen der Globalstrategie der USA zugewiesen worden? Und welche Pläne verfolgte man in Washington mit ihnen?
Zum einen wollte man sich endgültig von der zentralen Vereinbarung des 1945 geschlossenen Potsdamer Abkommens verabschieden, dass die „deutsche Frage“ und alle mit ihr zusammenhängenden Probleme einvernehmlich mit der UdSSR gelöst werden mussten. Daraus folgte zum anderen, dass die drei Westzonen in möglichst schneller Frist zu einem eigenständigen Staatswesen, das in dauerhafter politischer und ökonomischer Abhängigkeit von den USA gehalten werden sollte, umgestaltet werden müssten. Im Klartext: Ein „Weststaat“ sollte entstehen und damit die Spaltung Deutschlands durchgesetzt werden. Anhaltspunkte für diese Planungen und erste Schritte zu ihrer Realisierung waren unübersehbar: Die Schaffung von staatlichen Strukturen innerhalb der Bizone (z. B. eine regierungsähnliche Administration, ein Bizonenparlament, ein Oberstes Gericht); die Genehmigung der US-Militärregierung, die Industrieproduktion auf das Niveau des Jahres 1936 anzuheben; vor allem die systematische Nichtberücksichtigung legitimer sowjetischer Interessen (z. B. die Beendigung der Reparationen aus den Westzonen für die von den Faschisten verwüstete UdSSR; die Vorbereitungen der Einführung einer Währung nur für die Westzonen im Juni 1948). Mit den Worten des Historikers Wolfgang Benz: „Die Bizone entwickelte sich im Laufe von zweieinhalb Jahren zum Modell der Bundesrepublik.“
Die Vorbereitung und Durchführung der Londoner Konferenz, die Washingtons Kurs auf einen westdeutschen Separatstaat absegnen sollte, fand selbstverständlich ohne die Beteiligung der UdSSR statt. Stattdessen wurden die Benelux-Länder eingeladen, Vertreter in die britische Hauptstadt zu entsenden, um an den Verhandlungen teilzunehmen. Die Sowjetunion wurde weder über den Gang der Gespräche noch über die erzielten Vereinbarungen informiert. Ein derartiger politischer Affront suchte seinesgleichen. Deshalb bat der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) Marschall Sokolowski schriftlich seine drei Kollegen darum, „uns über die in London vorbereiteten Beschlüsse zur deutschen Frage sowie über jene praktischen Maßnahmen zu unterrichten, die sie im Zusammenhang der Londoner Beratung der drei Mächte in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands zu ergreifen gedenken.“ Die Antworten, die auf der Sitzung des Alliierten Kontrollrates in Berlin am 20. März 1948 erteilt wurden, bestanden in durchsichtigen Ausflüchten und hinhaltenden Aussagen. Der britische General Robertson erklärte wider besseres Wissen, es seine „keine Beschlüsse, sondern lediglich Empfehlungen für die beteiligten Regierungen verabschiedet worden“. Dem stimmte der US-General Clay ausdrücklich zu. Dies äußerte der gleiche Clay, der am 30. Januar 1948 in einem vertraulichen Schreiben an den Unterstaatssekretär William Draper seine Auffassung formuliert hatte, dass es sich bei der bevorstehenden Londoner Konferenz um die wichtigste Konferenz („the most important conference“) handeln werde, die bislang zur Zukunft Deutschlands durchgeführt worden sei! Der französische Vertreter General Koenig erwiderte, er müsse zunächst entsprechende Instruktionen seiner Regierung zur Beantwortung der gestellten Fragen einholen. Marschall Sokolowski wies im Gegensatz zu diesen Aussagen darauf hin, dass in einem Kommuniqué der Londoner Konferenz über Absprachen und erzielte Übereinkünfte zu „wichtigen wirtschaftlichen und politischen Fragen berichtet werde, die Deutschland als Ganzes beträfen.“ Im Verlaufe einer längeren Diskussion weigerten sich die westalliierten Generäle hartnäckig, den Kontrollrat über die Verhandlungen der Londoner Konferenz zu informieren. Marschall Sokolowski erklärten daraufhin, dass eine Fortsetzung der Kontrollratssitzung sinnlos geworden sei und verließ mit seinem Stab die Sitzung. Worin bestanden nun die Ergebnisse der Londoner Konferenz, die endgültig am 2. Juni 1948 zum Abschluss gebracht wurde?
Ergebnisse der Londoner Konferenz
Die Ergebnisse der Londoner Konferenz waren schwerwiegend. Beschlossen wurde die Erweiterung der Bizone um die französische Zone zur Trizone, die endgültig im April 1949 als Vorstufe der Bundesrepublik Deutschland gebildet wurde. Das Saarland mit seiner Schwerindustrie und seinen Kohlegruben verblieb außerhalb der Trizone und war wirtschaftlich und politisch bereits seit 1946 als eigenständiges staatliches Gebilde eng mit Frankreich verflochten. Hier galt der Franc, nicht die D-Mark als gesetzliche Währung. Ferner sollten alle drei westlichen Besatzungszonen zukünftig in den Marshallplan einbezogen und mit Hilfe von US-Krediten unter kapitalistischem Vorzeichen ökonomisch rekonstruiert werden. Politisch wurde Kurs wurde auf die Ausarbeitung einer Verfassung genommen, die einen Aufbau des „Weststaates“ nach föderativen Grundsätzen vorsehen sollte. Außerdem wurde ein „Ruhr-Statut“ verabschiedet, dass für das Ruhrgebiet eine „internationale Kontrolle“ zu gewährleisten beanspruchte, an der die drei Westalliierten und die Beneluxstaaten sowie westdeutsche Vertreter teilhaben sollten. Frankreich hatte erst nach längerem Zögern seine Zustimmung zu den Londoner Beschlüssen erteilt. Nirgendwo war in ihnen davon die Rede, dass die Sowjetunion künftig irgendein Mitspracherecht in diesen Angelegenheiten zugebilligt werden sollte. War von Deutschland in den Dokumenten der Londoner Konferenz die Rede, waren die drei Westzonen und der in naher Zukunft zu schaffende westdeutsche Staat gemeint. Alles in allem beinhalteten die Dokumente der Londoner Konferenz eine völlige Abkehr von den Beschlüssen von Jalta und Potsdam. Sie stellten den Versuch dar, die „deutsche Frage“ ohne die Berücksichtung der legitimen sowjetischen Interessen zu lösen, indem die Spaltung des Landes organisiert wurde. Wie reagierte die politische Führung in Moskau auf die neu entstandene Situation?
„Blockade“ Westberlins und Verhandlungsangebote aus Moskau
Am 2. August 1948 fand ein denkwürdiges, fast zweieinhalb Stunden dauerndes Treffen im Kreml statt. Auf Seiten der sowjetischen Führung waren Josef Stalin und Außenminister Wjatscheslaw Molotow anwesend, für die drei westalliierten Staaten ihre Botschafter in der UdSSR Bedell Smith (USA), Chataigneau (Frankreich) sowie Frank Roberts (Großbritannien). Mittlerweile hatte sich die internationale Lage zugespitzt. Washington, London und Paris hatten alle diplomatischen Noten aus Moskau, die gegen die Schaffung eines westdeutschen Separatstaates protestierten, zurückgewiesen. Es kam hinzu, dass in den Westsektoren Berlins am 24. Juni 1948 mit der Einführung der D-Mark begonnen worden war, die faktisch zu einer ökonomischen und perspektivisch auch zu einer politischen Spaltung der deutschen Hauptstadt führen musste. Die SMAD hatte daraufhin die Verkehrswege zu Lande zwischen den Westsektoren Berlins und den Westzonen blockiert. Die Westmächte wiederum stellten jeglichen Handelsverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone ein und versorgten ihre Sektoren mittels einer „Luftbrücke“ mit Hunderten von Transportflugzeugen. Die Situation schien festgefahren. Deshalb verbanden sich mit dem am 2. August geführten Gespräch im Kreml Hoffnungen auf eine Entspannung der brisanten politischen Lage.
Von den Vertretern der Westalliierten teilte der US-Botschafter zu Beginn mit, dass er von seinen Kollegen ermächtigt worden sei, auch in ihrem Namen zu sprechen. Und tatsächlich blieben Roberts und Chataigneau die meiste Zeit über lediglich Zuhörer des Dialogs zwischen Stalin und Bedell Smith, in den sich mehrfach Molotow einschaltete. Die von Smith erhobene Forderung nach einer Beendigung der „Blockade“ beantwortete Stalin, indem er dazu aufforderte, ihre Ursachen auf westlicher Seite zu beenden: „Alle Maßnahmen, die wir zur Beschränkung des Verkehrs ergriffen haben, hängen mit unserer Verteidigung gegen das Eindringen der Währung (der D-Mark-R.Z.) nach Berlin und mit der Teilung Deutschlands in zwei Staaten zusammen, wie dies in den Londoner Beschlüssen der drei Mächte zum Ausdruck kommt. (…) Diese Beschlüsse wurden bekanntlich ohne Beteiligung der Sowjetregierung gefasst.“ Man müsse folglich dafür sorgen, dass in Berlin nur eine Währung Geltung haben könne und zugleich „der Öffentlichkeit die Suspendierung der Londoner Beschlüsse mitteilen.“
Die UdSSR beabsichtige nicht, die westalliierten Truppen in ihren drei Berliner Sektoren zu verdrängen. Bedell Smith ging, offenbar zur Überraschung Stalins und Molotows, positiv auf den Vorschlag ein, nur eine Währung in Berlin zuzulassen: „Er versprach, seiner Regierung vorzuschlagen, einen solchen Beschluss über die Währung zu fassen, der der sowjetischen Regierung passen werde.“ Die Botschafter Großbritanniens und Frankreichs schlossen sich dieser Auffassung an. Es blieb das Problem der Londoner Beschlüsse. Hier zeigte sich die sowjetische Seite flexibel. Nicht gegen die Bildung der Trizone – so Stalin – richte sich die Kritik der UdSSR, wohl aber dagegen, für dieses Gebiet eine deutsche Regierung und einen Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung einer Verfassung zu bilden. Wenn die Westalliierten das täten, „worüber sollte man dann noch reden?“ Nötig sei es, alle mit der „deutschen Frage“ zusammenhängenden Probleme auf einer Konferenz der vier Alliierten zu klären. Es ginge dabei um die Reparationen, die Entmilitarisierung, die Bildung einer deutschen Regierung, einen Friedensvertrag und die Kontrolle des Ruhrgebietes.
Sollten die drei westalliierten Regierungen diesen Vorschlägen zustimmen, dann werde es keine Schwierigkeiten mehr geben: „Wer auf wen Druck ausübt – das ist die Frage. Drei auf den Vierten oder der Vierte auf die Drei. (…) Man hat uns gezwungen, im Ergebnis des Drucks diese Maßnahmen zu ergreifen.“
Angesichts der von Stalin unterbreiteten Vorschläge schienen ein schnelles Ende der „Blockade“ und der Beginn einer Konferenz zur Entspannung der Lage zwischen den vier Weltkriegsalliierten greifbar nahe. Am Ende des Gesprächs machte Stalin deutlich, dass er die Abschaffung einer „Sonderwährung“ in den Westsektoren Berlins als einzige Voraussetzung für die Beendigung der „Blockade“ ansehe. Die geforderte Suspendierung der Londoner Beschlüsse werde von ihm „nicht als Vorbedingung für die Abschaffung der Verkehrsbeschränkungen“ verlangt, „aber er bitte darum, den dringlichen Wunsch der sowjetischen Regierung nach Aufschub der Entscheidung über die Frage der westdeutschen Regierung festzuhalten.“ Daraufhin dankte Botschafter Bedell Smith Stalin für diese Erklärung und sagte, „dass er, wenn er die Vollmacht hätte, umgehend dem Vorschlag von Stalin zustimmen würde.“
Es schien, als könnten dank der Flexibilität der sowjetischen Seite die gefährliche Situation in und um Berlin entschärft sowie die „deutsche Frage“ wieder im Einvernehmen der vier Alliierten auf dem Verhandlungswege gelöst werden. Doch der Schein trog.
Ein westdeutsche Separatstaat entsteht
Die Londoner Konferenz bildete einen wichtigen Meilenstein in der Strategie des US-Imperialismus, den europäischen Kontinent und Deutschland zu spalten. Letztlich ging es in Washington bei alledem um die dauerhafte Herstellung einer militärischen Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion und um die politische und ökonomische Vorherrschaft auf der Welt. Dazu war das große wirtschaftliche Potential der Westzonen ebenso vonnöten wie die Remilitarisierung, wozu als „Einstimmung“ der Öffentlichkeit erste Diskussionen bereits am Ende des Jahres 1948 in der Presse geführt wurden. Das Drehbuch war klar: Verabschiedung einer Verfassung, Parlamentswahlen, Konstituierung eines Bundestages und einer Bundesregierung, Perspektive Wiederbewaffnung. Dass die Vorschläge der sowjetischen Führung am 2. August 1948 zur Beendigung der in und um Berlin entstandenen Spannungen sowie zu einer Verhandlungslösung der zwischen den Alliierten bestehenden kontroversen Auffassungen zur Lösung der „deutschen Frage“ zwar von den westalliierten Botschaftern in Moskau, nicht aber von ihren Regierungen aufgegriffen wurden, dokumentierte die Entschlossenheit in Washington, London und Paris, den Kurs der Konfrontation gegen die UdSSR weiter zu verschärfen.