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Sozialpolitik in der BRD

Sozialpolitik in der DDR

1948 – Die Teilung Deutschlands wird weiter vorangetrieben

Dr. Reiner Zilkenat

Das Jahr 1948 sollte zukunftsweisende Entscheidungen für die staatliche Entwicklung des in vier Besatzungszonen aufgeteilten Deutschland mit sich bringen. Erste Schritte zur Konstituierung eines westdeutschen Separatstaates waren bereits im Vorjahr unternommen worden. Es handelte sich dabei unter anderem um den Zusammenschluss der US-amerikanischen mit der britischen Zone zur Bizone am 1. Januar 1947 sowie um die Schaffung zentraler deutscher Institutionen in der Bizone in Gestalt eines parlamentarischen Gremiums („Wirtschaftsrat“) und einer regierungsähnlichen Verwaltung („Direktoren“). Alle diese Maßnahmen waren ohne die erforderliche Zustimmung der UdSSR getroffen worden. Worin lagen die Ursachen dieser Handlungen, die den gemeinsamen Beschlüssen der Alliierten in Jalta und Potsdam widersprachen?

Der US-Imperialismus war als einzige der kriegführenden Mächte wirtschaftlich und militärisch gestärkt aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Er nutzte diese Stärke, die sich vor allem im exklusiven Besitz der Atombombe, einer durch keinerlei Kriegseinwirkungen geschwächten Industrie sowie als weltweit größter Gläubiger manifestierte, skrupellos aus, um die globale Nachkriegsordnung ausschließlich nach seinen politischen Vorstellungen zu gestalten. Eine auch nur annähernd gleichberechtigte Rolle der UdSSR war hier nicht vorgesehen. Im Gegenteil wurde die Sowjetunion als potenzieller „Störenfried“ behandelt, der sich den machtpolitischen Ansprüchen der USA widersetzen könnte. Großbritannien wurde lediglich der Platz eines „Juniorpartners“ zugewiesen. Eine entscheidende Rolle in der Strategie des US-amerikanischen Imperialismus spielte Deutschland.

Hier sollte keineswegs Ernst mit einer gemeinsamen Viermächtekontrolle, mit Entnazifizierung, Demokratisierung, Entmilitarisierung und einer wirksamen Entkartellisierung der Wirtschaft gemacht werden, so wie es im Potsdamer Abkommen vereinbart worden war. Anfangs in kleinen Schritten, dann mit immer schneller vollzogenen Entscheidungen, wurde der Einfluss der UdSSR auf die einvernehmlich zu vollziehende Besatzungspolitik zurückgedrängt. Schließlich sollte in den Westzonen ein neues Staatswesen etabliert werden, das dauerhaft dem Einfluss der USA unterworfen und mit seinen industriellen Ressourcen in eine antisowjetische Front eingegliedert werden sollte.

Das Jahr 1948 war in Washington dazu bestimmt worden, diese Strategie erfolgreich umzusetzen. Bereits am 7. und 8. Januar 1948 waren die Ministerpräsidenten der Bizone von den Militärgouverneuren der USA und Großbritanniens, den Generälen Lucius D. Clay und Sir Brian Robertson, darüber informiert worden, dass die Bizone im Laufe des Jahres zu einem staatsähnlichen Gebilde ausgebaut werden und in nicht allzu ferner Zukunft ein westdeutscher Separatstaat entstehen würde.

Die „Londoner Beschlüsse“

Entscheidend für die Realisierung der US-amerikanische Politik war die „Londoner Konferenz“, an der im Februar/März und vom April bis Juni 1948 neben den Vertretern der drei westalliierten Staaten auch Repräsentanten der Benelux-Länder teilnahmen. Die Regierung der UdSSR war weder von der Vorbereitung dieser Konferenz informiert worden noch wurde sie um ihre Teilnahme gebeten, obwohl hier grundsätzliche Entscheidungen zur alliierten Deutschlandpolitik geplant waren. Gemäß den alliierten Beschlüssen wäre eine Einladung der Sowjetunion zwingend erforderlich gewesen.

Der Gang der Verhandlungen in London die am 23. Februar 1948 begannen, war nicht einfach, da Frankreich immer wieder Einwendungen gegen die Herstellung eines westdeutschen Separatstaates geltend machte. Hierbei handelte es sich um die in Paris grassierende Furcht, dass eine deutsche Großmacht heranwachsen könnte, die ein weiteres Mal eine ökonomische, politische und militärische Überlegenheit gegenüber Frankreich und den Beneluxstaaten erringen könnte. Deshalb waren die französischen Unterhändler bestrebt, die Vereinigung der Bizone mit der französischen Zone zu verhindern bzw. zu verzögern, das Saarland mit seinen Kohlevorkommen und seiner Schwerindustrie wirtschaftlich und politisch an Frankreich zu binden und zugleich an der Kontrolle des Ruhrgebietes beteiligt zu werden. Doch die ökonomische Krise in Frankreich, die unter anderem von Devisennöten, Missernten und einer Inflation geprägt war, machte die Regierung in Paris abhängig von Dollarkrediten sowie von Lebensmittel- und Rohstofflieferungen der USA. Deshalb erfolgte schließlich die Zustimmung zur Erweiterung der Bizone um die französische Besatzungszone zur Trizone sowie zur Einbeziehung der drei Westzonen in den Marshallplan, der mit Hilfe von Dollarkrediten den Aufbau der kriegszerstörten westeuropäischen Länder und ihres industriellen Potenzials bewirken sollte.

Welche entscheidenden Beschlüsse wurden auf der Londoner Konferenz verwirklicht? Am wichtigsten war die Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung, die auf föderaler Grundlage den staatlichen Aufbau des neu zu schaffenden „Weststaates“ beschließen sollte. Ferner wurde Frankreich zugebilligt, die alleinige Kontrolle über das Saarland zu behalten, das kein Bestandteil der BRD wurde. Außerdem wurde eine internationale Ruhrbehörde in Aussicht gestellt, bestehend aus den sechs Mächten, die auf der Londoner Konferenz vertreten waren, sowie aus deutschen Repräsentanten. Die Westalliierten behielten die Aufsicht über die auswärtigen Beziehungen und den Außenhandel des Separatstaates. Ihre militärische Präsenz wurde aufrechterhalten; ein Besatzungsstatut sollte die Rechte der drei westalliierten Mächte und ihrer „Hohen Kommissare“ kodifizieren.

Zieht man zusätzlich die am 20. Juni 1948 durchgeführte Währungsreform in den Westzonen in Betracht, so waren seit der Mitte des Jahres 1948 entscheidende Voraussetzungen für einen westdeutschen Separatstaat getroffen worden. Alle Bekundungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, es sei mit den Vereinbarungen von London keineswegs eine Spaltung Deutschlands beabsichtigt, dienten nur der Täuschung der UdSSR und der Weltöffentlichkeit. Der sowjetische Vertreter im Alliierten Kontrollrat in Berlin, Marschall Wassilij Sokolowski, erbat am 20. März von den Repräsentanten der drei Westmächte authentische Informationen über die Beschlüsse der Londoner Konferenz, deren erste Etappe am 5. März 1948 beendet worden war. Nachdem ihm diese Auskünfte verweigert worden waren, verließ die Delegation der UdSSR unter Protest das Gremium. Tatsächlich war durch die nicht erfolgte Einladung sowjetischer Vertreter nach London und die dadurch zum Ausdruck kommende Außerachtlassung vitaler Rechte und Interessen der UdSSR die Geschäftsgrundlage für die gemeinsame Verwaltung von Deutschland als Ganzem aufgekündigt worden. Es kam hinzu: Am 17. März hatten England, Frankreich und die Benelux-Länder außerdem eine militärische „Westunion“ für den Zeitraum von fünfzig Jahren abgeschlossen. Hierbei handelte es sich um das „erste Nachkriegsbündnis in Europa, das sich gegen die Sowjetunion gerichtet hat“1.

Das Echo in den Westzonen

Das Echo der Londoner Beschlüsse in den Westzonen war kritisch bis ablehnend. Grundsätzlich ablehnend verhielt sich allein die KPD. In den anderen Parteien wurde Kritik nicht zuletzt deshalb geäußert, um zu versuchen, die Einflussnahme der Besatzungsmächte auf das künftige Regierungshandeln des neu zu etablierenden Staates zu begrenzen. Die CDU-Landesverbände in den Westzonen schlugen sogar am 10. Juni 1948 demagogisch vor, eine erneute Konferenz einzuberufen, wobei „der Versuch der Heranziehung Russlands“2. unternommen werden müsste. Die kritischen Einwände der SPD-Führung um Kurt Schumacher waren nicht grundsätzlich gegen die Londoner Empfehlungen gerichtet, sie interpretierten wider besseres Wissen allerdings die sich aus ihnen ergebenden Folgen als „provisorisch“. Eine gemeinsame Stellungnahme mit der CDU lehnte die SPD ab. Alle Versuche, die „Londoner Empfehlungen“ entscheidend zu verändern, schlugen fehl. Als sich am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat mit 65 Abgeordneten, die von den elf Landtagen der Westzonen gewählt worden waren, in Bonn konstituierte, waren endgültig die Weichen für die Gründung des deutschen Separatstaates „Bundesrepublik Deutschland“ gestellt worden.

Frühe Debatten über die Wiederbewaffnung

Ein zentraler Aspekt im Bestreben der USA, möglichst rasch die BRD zu gründen, darf nicht unberücksichtigt bleiben: Die Einbeziehung der Bundesrepublik in ein aggressives, gegen die UdSSR gerichtetes Militärbündnis, den „Atlantikpakt“. Nur wenige Jahre nach der Kapitulation des faschistischen „3. Reiches“ mussten derartige Planungen im Verborgenen durchgeführt werden. Deshalb übernahmen in der Öffentlichkeit Wissenschaftler und Publizisten entsprechende „Gedankenspiele“, von denen sich die Regierungen in Washington, London und Paris sogleich distanzieren konnten. Für große internationale Aufmerksamkeit sorgte ein ausführlicher Beitrag des französischen Politikwissenschaftlers und Maurice Duverger in der führenden Tagezeitung „Le Monde“ im November 1948, der von der Hamburger Tageszeitung „Die Welt“ auf ihrer Titelseite nachgedruckt wurde. Hierin hieß es unter anderem: „Wenn man davon spricht, dass Kontinental-Europa gegen einen etwaigen Angriff von außen zur Verteidigung bereit sein muss, dann müsste man sich darüber im Klaren sein, dass dies sowohl den Wiederaufbau der deutschen Armee als auch der französischen Armee erforderlich macht. Es gibt nur zwei militärische Völker auf dem Kontinent: Deutschland und Frankreich. Eine europäische Armee würde im Wesentlichen eine französisch-deutsche Armee sein. Ich errate den Skandal, den diese gotteslästerlichen Ausführungen hervorrufen mögen, denn man nimmt gern den Mund voll mit dem Wort ‚Europa‘, indem man zugleich die Augen vor seinen wirklichen Gegebenheiten verschließt. Es kann kein Europa ohne eine französisch-deutsche Allianz geben. Zu behaupten, diese Allianz sei unmöglich, hieße zu erklären, dass Europa eine Unmöglichkeit darstellt.“ 3Das Echo auf diesen Beitrag war unüberhörbar. Ihm war die Aufgabe zugedacht worden, als „Testballon“ zu ermitteln, ob die europäische Öffentlichkeit eine Remilitarisierung Westdeutschlands zu tolerieren gedachte. Angesichts der eskalierenden antisowjetischen Hetze und den planmäßig geschürten „Bedrohungsängsten“ vor einem Angriff der Roten Armee, so hoffte man in den Amtsstuben der westlichen Regierungen, sei die Akzeptanz einer zu schaffenden deutschen Armee größer als die Furcht vor wieder entstehenden deutschen Großmachtgelüsten. Doch die Zeit war noch nicht reif. Heuchlerisch wurden Duvergers Vorschläge von den Regierungen in den westlichen Hauptstädten zurückgewiesen. Zum Beispiel wiesen in London „zuständige Stellen“ Spekulationen über den Aufbau einer deutschen Armee zurück; die „Times“ stimmte Duvergers Überlegungen zwar grundsätzlich zu, sah die Realisierung seiner Vorstellungen allerdings noch „in weiter Ferne“. 4 Die interessanteste Replik auf den Artikel Duvergers stammte jedoch aus der Feder von Carlo Schmid, Mitglied des Parteivorstandes der SPD und Abgeordneter des Parlamentarischen Rates. In der „Welt“ riet er zur Schaffung einer Armee, die jedoch als fester Bestandteil einer (west-)„europäischen“ Streitmacht agieren solle: „Es gilt, eine echte, in sich selber internationale Wehrmacht zu schaffen und nicht ein Mosaik nationaler Truppenkontingente.“ Hier könnte die Integration deutscher Verbände vollzogen werden, deren Stärke die drei Besatzungsmächte bestimmen müssten. Der Hinweis des Autors auf die Notwendigkeit, ein System kollektiver Sicherheit in Europa zu schaffen, galt offensichtlich nur für den Westen des Kontinents im Sinne eines „kollektiven Schutzes“ vor der angeblich aggressiven UdSSR.

Die von Duverger provozierte Debatte über eine Wiederbewaffnung des noch gar nicht existierenden westdeutschen Staates musste in Moskau geradezu alarmierend wirken – drei Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und angesichts der immer noch unübersehbaren Wunden, die dem Land von der Nazi-Wehrmacht zugefügt worden waren. Was der Öffentlichkeit verborgen blieb: Dutzende Hitler-Generäle und Generalstäbler der faschistischen Armee waren in den USA bereits am Werk, ihre im Aggressionskrieg gegen die UdSSR gewonnenen Erfahrungen den Planern eines erneuten Krieges gegen die Sowjetunion im Pentagon zur Verfügung zu stellen und dabei „Lehren“ für einen „erfolgreichen“ Feldzug gegen die UdSSR zu Papier zu bringen.

Zusammengefasst: Die Londoner Konferenz des Jahres 1948 stellte eine Zäsur in der Nachkriegsentwicklung Deutschlands und letztlich die Geburtsurkunde der BRD und damit der Spaltung Deutschlands dar. Zugleich sind die Ergebnisse der Konferenz ein warnendes Beispiel dafür, welche verhängnisvollen Folgen sich ergeben, wenn die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion bzw. Russlands von westlicher Seite als irrelevant, ja als eine unter keinen Umständen zu berücksichtigende Größe erachtet werden.

Veröffentlicht in: Rotfuchs, 20. Jahrgang, Nr. 243, April 2018

1 Hans-Georg Lehmann: Chronik der Bundesrepublik Deutschland1945/49 bis 1983, München 1983, S. 18

2 Zitiert nach: Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S.141

3 Die Welt, 27.11.1948, S.1

4 Die Welt, 30.11.1948, S.1 u. 9.12.1948, S.2