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Sozialpolitik in der BRD

Sozialpolitik in der DDR

Wieder den linken Zeitgeist: Konrad Adenauer gibt den Kurs an.

 

Reiner Zilkenat

 

1947 wurde der von den USA provozierte Kalte Krieg zur dominierenden Tendenz in den internationalen Beziehungen. Das bedeutete für das in vier Besatzungszonen aufgeteilte Deutschland, dass alle politischen Entscheidungen, die hier getroffen wurden, angesichts des eskalierenden Konfliktes zwischen den imperialistischen Mächten und der sozialistischen Sowjetunion nicht nur eine regionale oder nationale Bedeutung bekamen. Dies galt auch für die Programmatik und Politik der agierenden Parteien. Eine von ihnen, die Christlich-Demokratische Union (CDU), war in allen Zonen präsent. Sie stellte den Versuch dar, die in früheren Zeiten vollzogene Ausrichtung vieler Katholiken auf eine eigenständige, konfessionell ausgerichtete Partei, das Zentrum, zu überwinden. Stattdessen sollte die CDU Protestanten und Katholiken zusammenführen und damit eine Massenbasis bei den Parlamentswahlen erreichen.

 

Patriarch Adenauer

Im Februar 1946 wurde der 70jährige Konrad Adenauer zum Vorsitzenden der CDU in der Britischen Zone gewählt. Adenauer hatte von 1917 bis 1933 sowie im Mai/Juni 1945 als Kölner Oberbürgermeister amtiert. Er gehörte in der Weimarer Republik dem Zentrum an und galt als strikt konservativ. 1933 hatten ihn die Nazis als Kölner Oberbürgermeister abgesetzt. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er verhaftet, so wie viele andere Personen, die nach Auffassung der Gestapo potenziell oppositionelle Personen darstellten. Nach der Befreiung war Adenauer einer der bekanntesten Politiker in Nordrhein-Westfalen. Sein patriarchalischer Habitus sollte auf die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen erweckend wirken. Adenauer galt als kluger Taktiker, der seine Auffassungen flexibel der jeweiligen politischen Lage anzupassen verstand.

Damals galt: Der Zeitgeist nach der Befreiung vom Faschismus war offen für sozialistische Programme und Politik. In Italien und Frankreich hatten die Kommunistischen Parteien bis zum Mai 1947 den Regierungen angehört. In Großbritannien hatte die Labour Party 1945 mit einem sozialistischen Programm, das nicht zuletzt die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien beinhaltete, den konservativen Kriegspremier Winston Churchill in die Opposition geschickt. Als ehemaliges Mitglied von Aufsichtsräten großer Konzerne, wie z. B. den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitäts-Werken (RWE) und der Deutschen Bank, waren Adenauer derartige Pläne vollkommen fremd. Und er tat alles, um sie zu verhindern. Allerdings waren dabei zwei Probleme zu beachten.

 

Gegen „Materialismus“

Zum einen hatte die CDU der Britischen Zone im Februar 1947 das „Ahlener Programm“ verabschiedet, das Konzessionen an den „linken Zeitgeist“ enthielt. So war davon die Rede, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden ist.“ Und weiter: Inhalt und Ziel einer „sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben…sein.“

Zum anderen waren die britische Regierung sowie die sie tragende Labour Party nicht abgeneigt, auch in ihrer Besatzungszone Sozialisierungsprojekte im Bergbau und in der Schwerindustrie voranzutreiben.

Doch die CDU der Britischen Zone besaß keinerlei Sympathien für derartige Pläne. Sie hatte bereits im Ahlener Programm Vorkehrungen für eine nicht genehme Interpretation der zitierten Passagen getroffen. Der Schlüssel hierzu war der in diesem Grundsatzdokument konstruierte Gegensatz zwischen einem „Materialismus“ und „Kollektivismus“ einerseits und den „Freiheiten“ und „Rechten der Person“ andererseits, für die sich die Partei einzusetzen gedenke.

Adenauer verband dies in seiner Grundsatzrede, die er vor dem Parteitag der CDU am 14. August 1947 in Recklinghausen hielt, mit folgenden Gedanken: Alles, was sich in den vergangenen Jahren in Deutschland ereignet habe, bestätige, „dass unser Volk im persönlichen Leben, in der Politik, im öffentlichen Leben, in der Wirtschaft zu den christlichen Grundsätzen zurückkehren muss. (…) An die Stelle der materialistischen muss wieder die christliche Weltanschauung treten, an die Stelle der sich aus dem Materialismus ergebenden Grundsätze die Grundsätze der christlichen Ethik. Die christliche Auffassung allein gewährleistet Recht, Ordnung und Maß, Würde und Freiheit der Person und damit eine wahre und echte Demokratie.“ Und bezogen auf die künftige Organisation der Wirtschaft bedeutete dies, so Adenauer, „unter keinen Umständen“ eine Verstaatlichung der Großbetriebe zuzulassen. Nötig sei stattdessen die Realisierung eines „Macht verteilenden Prinzips“: Kein Vertreter privaten Kapitals dürfe über mehr als 10 Prozent und kein Repräsentant der öffentlichen Hand über mehr als 15 Prozent der Unternehmensanteile verfügen. Im Übrigen bekräftige die CDU die bereits im Ahlener Programm formulierte Auffassung, dass möglichst viele selbständige Existenzen entstehen sollten, weil dadurch zugleich „die Freiheit der Unselbständigen“ umso größer werde. Eine Begründung für diese abenteuerliche Behauptung unterließ Adenauer. Wenn auch verklausuliert, so lautete seine Botschaft auf dem Recklinghauser Parteitag, dass die Überführung der Großkonzerne an Rhein und Ruhr in staatliches oder gemeinwirtschaftliches Eigentum auf den Widerstand der CDU treffen würde.

 

Interessen der USA

Und die Haltung der britischen Besatzungsmacht hierzu?

Am 1. Januar 1947 waren in Großbritannien die Bergwerke verstaatlicht worden. Die Labour-Regierung versprach den Arbeitern eine rasche Verbesserung ihrer sozialen Lage, Neueinstellungen sowie umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten. Regierungsvertreter und Gewerkschaftsführer aus England reisten in die Britische Zone und erkundeten die Möglichkeiten für ähnliche Maßnahmen in den dortigen Kohlenzechen und schwerindustriellen Betrieben. Doch die ökonomische und finanzielle Lage Großbritanniens begünstigte die Gegner der Verstaatlichung von Betrieben der Schlüsselindustrien an Rhein und Ruhr.

Im beginnenden Kalten Krieg waren die Herrschenden in den USA darauf bedacht, die reichen Kohlevorkommen und die Schwerindustrie an Rhein und Ruhr möglichst rasch wieder in die Hände der privaten Eigentümer aus der Großbourgeoisie zu überführen. Mit den Worten Konrad Adenauers aus dem Jahre 1950: „…dass, wer Westdeutschland und seine Stahlproduktion besitze, voraussichtlich den dritten Weltkrieg zu seinen Gunsten entscheiden werde.“

Und tatsächlich stand für die Truman-Administration jetzt die rasche Wiederherstellung der industriellen Kapazitäten Westdeutschlands im Mittelpunkt. Mit der Bildung der Bizone aus US-amerikanischer und Britischer Zone am 1. Januar 1947 war bereits ein entscheidender Schritt zur Schaffung eines westdeutschen Staates vollzogen worden, dem am 29. Mai 1947 weitere Maßnahmen zur Errichtung regierungsähnlicher deutscher Strukturen innerhalb der Bizone folgten. Die USA nutzten die ökonomische und finanzielle Krise Großbritanniens aus, um ihre Interessen gegenüber ihrem Alliierten durchzusetzen. Denn London war auf US-amerikanische Kredite und Lebensmittellieferungen dringend angewiesen, um die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen, deren Lebensstandard sich kaum von dem der Einwohner Deutschlands unterschied. Es versteht sich fast von selbst, dass angesichts dessen alle Pläne Londons, die Bergwerke und die Betriebe der Schwerindustrie an Rhein und Ruhr zu enteignen, auf den Widerstand Washingtons trafen.

Somit orientierten sich Adenauer und seine Partei auf die Kalte-Kriegs-Politik der USA, wobei das „Ahlener Programm“ bald der Vergessenheit anheimfiel.

Adenauers Rede auf dem Recklinghauser Parteitag im August 1947 wurde somit zugleich ein wichtiger Baustein in seinem Bewerbungsschreiben für hohe und höchste Ämter in einem demnächst zu errichtenden westdeutschen Separatstaat.