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Sozialpolitik in der BRD

Sozialpolitik in der DDR

Die Bilanz des Jahres 1947 – Das Ende der Antihitlerkoalition und wachsende Kriegsgefahren

Reiner Zilkenat

Die Wochen vor dem Jahreswechsel 1947/48 markierten eine tiefgehende Zäsur in der Geschichte des 20. Jahrhunderts und in den internationalen Beziehungen. Welche Ursachen lagen dieser Entwicklung zugrunde?

Bereits nach der Befreiung vom deutschen Faschismus hatte es erste Anzeichen einer aggressiver werdenden Haltung von Seiten der US-Regierung gegenüber der UdSSR gegeben. Nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern immer häufiger in öffentlichen Verlautbarungen wurden in Washington gegenüber dem Weltkriegs-Alliierten Töne angeschlagen, die nur als feindselig interpretiert werden konnten. Einige Kostproben: Am 23. Oktober 1945 erklärte Präsident Harry S. Truman vor dem Kongress, es „müssten die Vereinigten Staaten ihre Überlegenheit in der Luft, auf dem Lande und zur See aufrechterhalten“1. Am 12. November 1945 beschließt das Repräsentantenhaus der USA, eine etwaige Finanzhilfe für die UdSSR unter anderem an folgende Bedingungen zu knüpfen: Regelmäßige Übermittlung der Produktionsstatistiken an die USA, ständige Informationen über Ausmaß und Art der Rüstungsproduktion sowie Überflugrechte für US-amerikanische Flugzeuge. Am 5. Dezember 1945 wird im gleichen Parlament beschlossen, die Stärke der U.S. Navy auf mehr als das Doppelte ihres Vorkriegsstandes zu erhöhen. Vor allem: Seit November 1945 wurden insgeheim von den Stabschefs der Streitkräfte Atomkriegspläne, die sich gegen die UdSSR richteten, ausgearbeitet. Der britische Botschafter in Washington Lord Halifax teilte am 10. März 1946 seinem Außenminister Ernest Bevin in einem Telegramm mit: „Hartgesottene Konservative im Kriegs- und Marineministerium sprechen von der Unvermeidlichkeit einer Machtprobe („showdown“) mit der Sowjetunion und deuten an, dass sie besser jetzt als später stattfinden sollte“2.

Zeitgleich wurden in Londoner Regierungskreisen, allerdings hinter verschlossenen Türen, die Stimmen lauter, die der Sowjetunion Weltherrschaftspläne, ja die Planung eines gegen Westeuropa gerichteten Angriffskrieges unterstellten. Nachdem am 5. März 1946 der britische Kriegspremier Winston S. Churchill in Fulton/Missouri seine „Eiserne-Vorhangs“-Rede gehalten und die Schaffung einer politischen und militärischen Allianz der „englischsprachigen Völker“ vorgeschlagen, sowie Truman am 12. März 1947 vor dem Kongress die „Eindämmung“ des sowjetischen Einflusses überall auf der Welt angekündigt hatte, standen die Zeichen auf Sturm.

Allerdings stellte sich die Lage für den US-Imperialismus in Europa als außerordentlich kompliziert dar: In Frankreich und Italien amtierten Kommunisten als Minister in den nationalen Regierungen. So waren zum Beispiel in Frankreich der Wirtschaftsminister, der Arbeitsminister und der für die Rüstungsindustrie verantwortliche Minister Mitglieder der FKP. 1945/46 erfolgte unter anderem die Verstaatlichung der vier größten Privatbanken und von insgesamt 42 Versicherungsgesellschaften. Bei den Parlamentswahlen im November 1946 konnte die Kommunistische Partei mit 28,2 Prozent der Wählerstimmen ein herausragendes Ergebnis erzielen. In Großbritannien waren von der seit Juli 1945 regierenden Labour Party, sehr zum Missfallen der USA, wichtige Industriezweige verstaatlicht bzw. ihre Verstaatlichung vorbereitet worden (u.a. Zivilluftfahrt, Kohlenbergbau, Transportwesen, Stromversorger, Eisen- und Stahlindustrie). Allerdings fehlten dem Land ausreichend Devisen für den Import von dringend benötigten Lebensmitteln und Rohstoffen. Deshalb wurden im Juni 1946 Brot und Mehl rationiert, die in Kriegszeiten frei verkäuflich waren. Wegen der Kohleknappheit musste ab dem 10. Februar 1946 der Strom stundenweise, auch für die Industriebetriebe, abgeschaltet werden. Um Abhilfe zu schaffen, konnten nur die USA mit den notwendigen Dollarkrediten in die Bresche springen, um einen drohenden Kollaps der britischen Volkswirtschaft zu verhindern.

Und die Lage in den Besatzungszonen Westdeutschlands? Größere Teile der Bevölkerung litten an Hunger und unter der ungenügenden Versorgung mit Brennmaterialien. Zum Leidwesen der von General Lucius D. Clay geführten US-amerikanischen Militärregierung wurde die Forderung nach einer Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und des Bergbaus nicht nur bei den Arbeitern und ihren Gewerkschaften immer populärer. Am 1. Dezember 1946 votierten fast 63 Prozent der Abstimmenden in Hessen (US-Besatzungszone) bei einer Volksabstimmung für die Aufnahme eines Artikels in die Landesverfassung, der eine Verstaatlichung von in privatem Eigentum befindlichen Industriebetrieben und –branchen ermöglichte. Was konnte der US-Imperialismus angesichts dieser Zustände, die seinen Vorstellungen von einem „USA-kompatiblen“ Nachkriegseuropa zuwiderliefen, unternehmen, um seine Interessen wirksam durchzusetzen?

Die Antworten lauteten: Erstens die Gewährung von vielen Milliarden Dollars an die Staaten Westeuropas, mit denen vorzugsweise Rohstoffe, Nahrungsmittel und Industriewaren in den USA eingekauft werden mussten. In Gestalt des „Marshall-Plans“, benannt nach dem Außenminister General George C. Marshall, wurde dieser Gedanke seit dem Sommer 1947 zur Realität. Die Truman-Administration erwartete als Gegenleistung die Bereitschaft der von den Marshall-Plan-Milliarden profitierenden Länder, sich den politischen Zielen des US-Imperialismus unterzuordnen. Mit den Worten des französischen Premierministers Paul Ramadier (Januar bis November 1947) vom 20. Mai 1947: „Mit jedem Kredit, den wir bekommen, verlieren wir ein wenig von unserer Unabhängigkeit“3. Zweitens wurden so genannte verdeckte Aktionen durchgeführt mit dem Ziel, den Einfluss der Kommunisten und anderer Linkskräfte, besonders in Frankreich und Italien, zurückzudrängen und die antikommunistischen Kräfte finanziell massiv zu unterstützen. Für diese Zwecke wurden die Geldtöpfe der 1947 gegründeten CIA auch von Großkonzernen mit Millionen Dollars gefüllt. Sogar Gelder aus dem Marshall-Plan wurden zweckentfremdet. Dabei ging es nicht nur um „Wahlkampfhilfen“ für antikommunistische Parteien, sondern auch um die Initiierung von gewalttätigen Aktionen gegen kommunistische Veranstaltungen und Parteibüros, für die kriminelle Existenzen angeworben und bezahlt wurden. In Italien wurde mit großem medialem Aufwand die Furcht vor einer von Kommunisten geführten Regierung der „Gottlosen“ angestachelt. Hier waren es vor allem der Vatikan und der katholische Klerus sowie die bürgerlichen Medien, die – finanziert und gesteuert von den Agenten der CIA – ein wahres Trommelfeuer des Antikommunismus entfachten. Drittens sollten in Deutschland mit der Vereinigung von US-amerikanischer und britischer Zone zur Bizone vollendete Tatsachen hinsichtlich der möglichst raschen Konstituierung eines westdeutschen Separatstaates geschaffen werden, der in der Perspektive remilitarisiert und als unverzichtbares Mitglied in ein antisowjetisches Bündnis, den „Atlantikpakt“, integriert werden sollte. Zunächst ging es darum, sein großes industrielles Potenzial zu Gunsten des Imperialismus nutzbar zu machen.

Wie reagierte die Sowjetunion auf diese Handlungen der USA? In Moskau bestand ungeachtet aller feindlichen Aussagen und Handlungen die ehrliche Bereitschaft, die gute Zusammenarbeit mit den USA auch nach dem Kriegsende fortzusetzen. Doch die Truman-Administration, die nach dem Tode von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 den politischen Kurs im Weißen Haus bestimmte, war der Repräsentant aggressiver und unversöhnlich antisowjetischer Kreise der US-Monopolbourgeoisie, die mit dem Atombombenmonopol in der Hinterhand ein „Amerikanisches Jahrhundert“ proklamierten. Ihr strategischer Alliierter Großbritannien sollte fortan lediglich die Rolle eines „Juniorpartners“ spielen, der UdSSR sprach man das Recht ab, ihre Sicherheitsinteressen selbst zu formulieren. Eine Teilhabe an der Kontrolle der Meerenge zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer (Dardanellen) oder die Möglichkeit, an der Förderung der Erdölreserven des Nahen und Mittleren Ostens zu partizipieren? Völlig undenkbar, ein Ausdruck des „sowjetischen Imperialismus“, so schallte es von Washington nach Moskau. Dass sich die Erdölförderung in jenen Regionen in exklusiver Weise durch US-amerikanische, britische und französische Mineralölgesellschaften vollzog, dass der Panama- und der Suez-Kanal unter der alleinigen Kontrolle der USA bzw. Großbritanniens standen und dort zahlreiche Militärstützpunkte beider Länder existierten? „Was Jupiter darf, darf nicht jeder Ochse!“

In einem weltweit viel beachteten Interview mit dem US-amerikanischen Politiker Harold Stassen, der als Gouverneur des Bundesstaates Minnesota amtiert hatte, formulierte Josef Stalin am 4. Mai 1947 die folgenden bedenkenswerten Sätze. Auf die Frage Stassens, ob die Sowjetunion mit ihrem Kollektivstaat und die Vereinigten Staaten mit ihrer freien Wirtschaft in Harmonie zusammenleben könnten, antworte Stalin: „Selbstverständlich ist das möglich! Der Unterschied zwischen den beiden Nationen ist nicht so bedeutend, dass er einer Zusammenarbeit im Wege stehen würde. (…) Wenn wir aber damit anfangen, uns gegenseitig als Monopolisten und Totalitaristen zu beschimpfen, dann wird dies kaum zur Zusammenarbeit führen. Wir müssen mit der historischen Tatsache beginnen, dass es zwei Systeme gibt, die von den betreffenden Völkern gut geheißen werden. Nur auf dieser Basis ist eine Zusammenarbeit möglich.“4. Doch die herrschenden Kreise in Washington waren für derartige, von Realismus geprägte Aussagen, mittlerweile nicht mehr ansprechbar. Das verdeutlichte die Situation in Deutschland.

 

Am 11. Juli 1947 empfing der US-amerikanische Militärgouverneur in Deutschland überaus wichtige Post aus Washington. Die Generalstabschefs der Streitkräfte übersandten General Clay ihre Direktive JCS-1779, die einen wesentlichen Wandel in der Besatzungspolitik beinhaltete. Kurz darauf, im Oktober, präzisierte das Außenministerium diese Weisungen. Worum ging es dabei?

Während in der im April 1946 in Kraft getretenen Direktive JCS-1067 ausdrücklich auf die Beseitigung des Faschismus Bezug genommen und in diesem Zusammenhang die Bestrafung der Kriegsverbrecher, die Eliminierung der Nazi-Ideologie und des deutschen Militarismus gefordert worden war, zugleich die Transformation der Volkswirtschaft auf die Bedingungen einer Friedenswirtschaft sowie die konsequente Demilitarisierung im Mittelpunkt standen, atmete die Direktive JCS 1779 den Ungeist des eskalierenden Kalten Krieges. Sie kodifizierte und legitimierte die bereits seit einiger Zeit von der US-Militärregierung praktizierte Okkupationspolitik, die den Beschlüssen von Potsdam nicht mehr entsprach. Um nur einige Beispiele zu nennen: Schon im Mai 1946 beendeten die US-Autoritäten die vereinbarten Reparationslieferungen bzw. Demontagen aus ihrer Besatzungszone in die UdSSR. Ein „Industrieplan“, der auf eine Restituierung kapitalistischer Verhältnisse in der Bizone orientierte und die Güterproduktion auf das Vorkriegsniveau ansteigen lassen sollte, wurde am 29. August 1947 in Kraft gesetzt. Die Entnazifizierung geriet immer mehr ins Stocken und wurde schließlich zur Nebensache. Mit den Worten des Historikers und ehemaligen Mitarbeiters der US-Militärregierung John H. Backer: „Der Kampf um ein starkes Westdeutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus war für Clay jetzt in den Vordergrund getreten und hatte das Ringen um die Einheit Deutschlands abgelöst“5. Um es deutlich zu formulieren: Die Politik des US-Imperialismus in Deutschland war primär von dem Bestreben charakterisiert, die Bizone, die ab dem 1. Januar 1949 um die französische Zone zur „Trizone“ erweitert wurde, als unverzichtbaren Baustein in ihre antisowjetische Strategie zu integrieren und dabei in möglichst schneller Frist einen abhängigen Separatstaat zu schaffen, dessen ökonomisches Potenzial von entscheidender Bedeutung im „Kalten Krieg“ werden sollte. Dass in Washington eine Remilitarisierung und die Aufstellung einer Hunderttausende Soldaten zählenden Armee, kommandiert von Generälen der Nazi-Wehrmacht, perspektivisch ins Kalkül gezogen wurde, kam hinzu. Ein Plan, der allerdings für die Bevölkerung vor allem in Großbritannien und Frankreich, aber auch in der jungen BRD, zunächst auf Ablehnung stieß und erst in einem weiter anzustachelnden Klima eines militanten Antikommunismus und Antisowjetismus Realität werden konnte.

Die Bilanz des Jahres 1947 war somit ernüchternd: Die Antihitlerkoalition, die sich als handlungsfähig im Kampf gegen den Faschismus erwiesen hatte, war endgültig auf dem Altar der politischen, militärstrategischen und ökonomischen Interessen des US-Imperialismus geopfert worden. In Deutschland galt für Washington das Motto: „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb!“ In den kommenden Jahren wuchs die Gefahr eines atomar geführten Weltkrieges, dessen Ausgangspunkt bzw. erstes Opfer das Territorium der beiden deutschen Staaten und die hier lebenden Menschen gewesen wären.

Die Entwicklungen des Jahres 1947 sollten für alle eine Lehre und eine Warnung darstellen, denen die Bewahrung des Friedens am Herzen liegt.

Veröffentlicht in ROTFUCHS, 20. Jahrgang, Nr. 240, Januar 2018

1Keesing’s Archiv der Gegenwart, XV.Jg., 1945, S.493C.

2 Documents on British Policy Overseas, Series I, Vol. IV, London 1987, S.153

3 Armin Wertz: Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA, Frankfurt a. M. 2017, S.105

4 Keesing’s Archiv der Gegenwart, XVII.Jg., 1947, S.1084G

5 John H. Backer: Die deutschen Jahre des Generals Clay. Der Weg zur Bundesrepublik 1945-1949, München 1983, S.234