„Freie Wahlen“ – „Freie Presse“ – „Wirtschaftliche Stabilität“?
Am 12. März 1947 wurde die Truman-Doktrin verkündet. Die Ouvertüre für den Kalten Krieg.
Washington am Nachmittag des 12. März 1947. Auf dem Kapitol, dem Gebäude des Senats und des Repräsentantenhauses der USA, herrscht eine angespannte Atmosphäre. Präsident Harry S. Truman hat kurzfristig angekündigt, eine wichtige außenpolitische Botschaft vor beiden Häusern des Kongresses zu verlesen. Als er nach etwa einer dreiviertel Stunde seine Ausführungen beendet hat, ist unübersehbar: Die Welt befindet sich am Beginn einer neuen Epoche: der Ära des Kalten Krieges. Von nun an werden die internationalen Beziehungen einer neuen Logik unterworfen. Die nach der Befreiung vom Faschismus gehegten Hoffnungen der Völker, es beginne jetzt eine Phase des Friedens und der Zusammenarbeit, fallen in sich zusammen.
„Wir müssen allen freien Völkern helfen“
Trumans Rede beinhaltet eine Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik. Genauer gesagt: Die spätestens seit dem Tod von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 unternommenen Versuche einflussreicher Politiker, Militärs und Industrieller, die Politik der USA gegenüber der Sowjetunion auf der Basis der Konfrontation zu betreiben sowie die in vielen Ländern gestärkten Befreiungsbewegungen und demokratischen Kräfte mit allen Mitteln zu bekämpfen, sind endgültig zur Leitlinie der Regierungspolitik geworden. Bereits kurz nach seiner Amtseinführung äußerte Truman im kleinen Kreis, „dass die Russen bald in ihre Schranken verwiesen werden; und dass die Vereinigten Staaten dann die Führung übernehmen und die Welt so regieren werden, wie sie regiert werden sollte.“
Die Rede Trumans ist das programmatische Dokument dieser neu definierten US-amerikanischen Außenpolitik. Ausgangspunkt ist für Truman eine grundlegende Analyse der gegenwärtigen Lage in der Welt. Die von ihm dabei vorgetragenen Argumente stellen in ihren Grundzügen bis zum heutigen Tage die ideologische Rechtfertigung der Außenpolitik des US-Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Selbst die Wortwahl ist fast unverändert geblieben. Originalton Truman:
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte muss fast jede Nation zwischen alternativen Lebensformen wählen. Nur zu oft ist diese Wahl nicht frei. Die eine Lebensform gründet sich auf den Willen der Mehrheit und ist gekennzeichnet durch freie Institutionen, repräsentative Regierungsform, freie Wahlen, Garantien für die persönliche Freiheit von politischer Unterdrückung. Die andere Lebensform gründet sich auf den Willen einer Minderheit, den diese der Mehrheit gewaltsam aufzwingt. Sie stützt sich auf Terror und Unterdrückung, auf die Zensur von Presse und Rundfunk, auf manipulierte Wahlen und auf den Entzug der persönlichen Freiheiten. Ich glaube, es muss die Politik der USA sein, freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen. Unter einem solchen Beistand verstehe ich vor allem wirtschaftliche und finanzielle Hilfe, die Grundlage für wirtschaftliche Stabilität und geordnete politische Verhältnisse bildet.“
Schnell wird von politischen Beobachtern diese Neuausrichtung der US-Außenpolitik, die offensichtlich eine aktive Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder beinhaltet, als „Truman-Doktrin“ bezeichnet. Übereinstimmend wird der Eindruck hervorgerufen, eine Zäsur nicht nur der US-amerikanischen Geschichte, sondern der gesamten internationalen Beziehungen mitzuerleben.
Worin bestehen die tiefer liegenden Ursachen für die Verkündung dieser Doktrin im März 1947? Welche längerfristig wirkenden Interessen des US-Imperialismus werden hier auf den Begriff gebracht? Welche aktuellen Anlässe werden vorgeschoben, um die strategische Wende in der Außenpolitik gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zu legitimieren?
Die Lage in Griechenland als Auslöser der „Truman-Doktrin“
Den Anlass für die Verkündung der Truman-Doktrin bildet die Lage in Griechenland. Nach der Befreiung vom Faschismus halten Truppen Großbritanniens das Land besetzt, die eine politische und ökonomische Einordnung des Landes in die Interessenssphäre des britischen Imperialismus erzwingen. Diese Politik Londons hat freilich einen Haken: Die ökonomischen Potenzen Großbritanniens sind nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend erschöpft. Die unzureichenden Energieressourcen führen zu immer neuen Unterbrechungen der Stromversorgung für Privathaushalte und die Industrie. Produktionsausfälle sind die logische Folge. Die dramatisch schrumpfenden Gold- und Devisenreserven reichen kaum noch aus, um die notwendigen Lebensmittelimporte zu finanzieren. Ernste Versorgungsengpässe scheinen unmittelbar bevorzustehen. Außerdem verschlingen die weltweit stationierten Streitkräfte gewaltige Ressourcen, die dringend im Lande selbst benötigt werden. Die Regierung rechnet mit der Möglichkeit groß angelegter sozialer Unruhen. Kurzum: Ohne groß angelegte finanzielle und wirtschaftliche Hilfen der USA, bei dem das Land wegen der zur Kriegsfinanzierung ausgeliehenen Kredite hoch verschuldet ist, droht der Staatsbankrott. Deshalb lässt die britische Regierung am 21. Februar 1947 durch ihre Botschaft in Washington mitteilen, dass die Stationierung eigener Streitkräfte in Griechenland, aber auch in der Türkei, sofort beendet werden müsse. Nur wenige Tage später ersucht der griechische Botschafter in den USA um die Lieferung von Nahrungsmitteln, Bekleidung und Brennstoffen. Aber auch finanzielle und militärische Unterstützung werden erbeten.
Die Regierung der USA reagiert ohne Zeitverzug. Zum einen erhält der britische Alliierte einen auf mehrere Milliarden Dollar lautenden Kredit, zum anderen springen die USA in die Bresche, um die unübersichtliche Lage in Griechenland in ihrem Sinne zu bereinigen. Worum geht es dabei?
Während der Okkupation durch die Nazi-Wehrmacht und nach der Befreiung vom Faschismus hat sich auch in Griechenland eine breit angelegte demokratische Befreiungsbewegung herausgebildet, die auf eine weitreichende Umgestaltung der sozialökonomischen und politischen Verhältnisse orientiert. Dagegen stehen die wirtschaftlich und politisch Herrschenden, die das Land weiterhin im Stil von Feudalherren regieren und ausbeuten wollen. Einige wenige Familien machen den Staat zu ihrer Beute. Sie haben ein dichtes Netz der Korruption gestrickt, verweigern Steuerzahlungen und schaffen ihre Kapitalien auf ausländische Konten, während Arbeitslosigkeit, Armut und Unterernährung immer mehr um sich greifen. Politische Repressionen gegen die Linke, insbesondere die Kommunisten, sind an der Tagesordnung. Sie beinhalten z.B. drastische Einschränkungen demokratischer Rechte, gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten, willkürliche Entlassungen politisch unbotmäßiger Arbeiter und Angestellter, ja die Inhaftierung und Misshandlung linker Politiker und Gewerkschafter. Das britische Militär unterstützt aktiv die Unterdrückungsmaßnahmen der Herrschenden. Kennzeichnend ist, dass ein ehemaliger Nazi-Kollaborateur zeitweilig als Innenminister Polizei und Geheimdienst kontrolliert.
Im Lande kämpft die ursprünglich im antifaschistischen Kampf gebildete Befreiungsfront EAM, auch mit militärischen Mitteln, seit dem Sommer 1946 gegen die herrschende Unterdrückung. Ihr gehören etwa 700.000 Mitglieder an, darunter Tausende Mitglieder der Kommunistischen Partei. Selbst bürgerliche Historiker müssen eingestehen, dass die Wurzeln dieses Widerstandskampfes ausschließlich in den gesellschaftlichen Zuständen in Griechenland selbst gesucht werden müssen. Die von der US-amerikanischen und der britischen Regierung verbreiteten Thesen von der „Hand Moskaus“, die hier im Spiele sei, dient ausschließlich der Legitimation der militärischen und politischen Einmischung der imperialistischen Mächte auf Seiten der griechischen Eliten. Logistische Unterstützung wird den Kämpfern der EAM lediglich von Seiten Jugoslawiens zuteil.
Dank der Unterstützung der griechischen Streitkräfte durch massive US-amerikanische Waffen- und Munitionslieferungen sowie des Einsatzes von so genannten Militärberatern in den Einheiten und Stäben der griechischen Armee gelingt schließlich die Zerschlagung der bewaffneten Kräfte der EAM, wobei übrigens zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte Napalm-Bomben eingesetzt werden. Der bürgerliche US-amerikanische Historiker Daniel Yergin benutzt in seiner Geschichte des Kalten Krieges völlig zutreffend den Begriff des „Weißen Terrors“, um die besonders grausame Kampfesweise der griechischen Armee gegenüber den Partisanen zu charakterisieren.
Der Bürgerkrieg in Griechenland als angeblicher Verteidigungskampf gegen die von der Sowjetunion gesteuerten Partisanen dient der Truman-Administration als ein willkommener Rauchvorhang, hinter dem die viel weiter gehenden Planungen des US-Imperialismus für eine dauerhafte Beherrschung der Welt in den kommenden Jahrzehnten vorangetrieben und begründet werden sollen.
„Die Wohltaten des Kapitalismus werden ernsthaft mit Misstrauen betrachtet“
Nach der Befreiung von Faschismus und japanischem Militarismus gingen die politisch Verantwortlichen in den Siegermächten daran, ihre Interessen in einer neu zu konzipierenden Weltordnung zu definieren. Auch in den USA waren Politiker, aber ebenso führende Industrielle und Militärs damit beschäftigt, den spezifischen Platz des US-Imperialismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verorten. Während der verstorbene Präsident Roosevelt, ungeachtet weiter bestehender Gegensätze zur Sowjetunion, stets auf ein vornehmlich von Kooperation statt von Konflikten geprägtes Verhältnis zur UdSSR orientiert hatte, änderte sich die Haltung der US-Administration seit dem Kriegsende dramatisch. Die dabei geltend gemachten Überlegungen, die gleichsam am 12. März 1947 zur Truman-Doktrin verdichtet wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen.
Erstens wurde die Existenz der Atombombe als das entscheidende strategische Instrument der US-Außenpolitik hervorgehoben. Solange die USA das Monopol dieses Massenvernichtungsmittels aufrechterhalten könnten, seien sie in der Lage, der UdSSR und der gesamten Welt ihren Willen zu diktieren (atomic diplomacy). Zum Zeitpunkt der Verkündung der Truman-Doktrin verfügten die USA über fünfzehn einsatzbereite Atombomben. Ein Jahr später handelte es sich bereits um fünfzig.
Zweitens erforderte der Einsatz der Atombombe ein Netz von Luftwaffen-Stützpunkten, Überflug- und Landerechten weltweit, möglichst in der Nähe des Territoriums der UdSSR. Mit den Regierungen der in Frage kommenden Staaten, darunter Großbritannien, seien entsprechende Verträge auszuhandeln. Die während des Zweiten Weltkrieges errichteten Basen in Asien müssten auf unabsehbare Zeit aufrechterhalten bleiben.
Drittens sei der internationale Handel nach den Prinzipien der „open-door“-Politik zu gestalten. Dies bedeutete, dass für US-amerikanische Waren und Dienstleistungen sowie für Kapitalien möglichst überall auf der Welt ein freier Zugang herzustellen sei. Nur diejenigen Staaten könnten finanzielle und andere Unterstützung aus den USA erhalten, die diesen Zugang jederzeit sicherstellen. Um die Bedeutung dieses grundlegenden Elementes der außenpolitischen Strategien des US-Imperialismus nach 1945 nachzuvollziehen, ist es nötig sich folgende Fakten ins Gedächtnis zu rufen: Die Vereinigten Staaten verfügen über die mit weitem Abstand größten Devisen- und Goldreserven der Welt. Drei Viertel des Anlagekapitals und zwei Drittel der Industriekapazität weltweit waren in den USA konzentriert. Die USA realisierten ein Drittel des Welt-Exportes. Ihre Währung, der US-Dollar, war mittlerweile die einzige Leitwährung der Welt. Anders als in Europa, besonders in der Sowjetunion, hatte es keinerlei Zerstörungen der Produktionsanlagen durch Kriegseinwirkungen gegeben. Sie befanden sich auf dem neuesten technischen Niveau. Die Überproduktion von Waren in den USA erforderte zwingend aufnahmefähige Märkte in Übersee.
Viertens existierte in der Truman-Administration und bei den Stabschefs der Streitkräfte eine große Unsicherheit angesichts der nach dem Zweiten Weltkrieg anschwellenden Linksentwicklung in vielen Teilen der Welt, vor allem in Europa. Ein geheimes Memorandum des Verteidigungsministeriums vom April 1946 formulierte hierzu: „Wir könnten die ökonomischen Wohltaten des Kapitalismus hervorheben, aber diese Wohltaten sind bei einigen konzentriert anstatt weit gestreut und sie werden derzeit mit einem ziemlichen Misstrauen betrachtet, überall in Europa und darüber hinaus in vielen anderen Teilen der Welt.“ Dass dabei die Beteiligung kommunistischer Minister in Frankreich und Italien auf grundsätzliche Ablehnung stieß und selbst die Politik der Labour Party in Großbritannien, die mit Clement Attlee den Premierminister stellte, nicht ohne Misstrauen verfolgt wurde, darf deshalb nicht verwundern. Um die Sicherheit der weltweit platzierten Kapitalanlagen zu garantieren, nicht zuletzt in Europa, wurde von der Truman-Administration alles Erdenkliche unternommen, um linke Regierungen, zumal dann, wenn sie von Kommunisten mitgetragen wurden, zu destabilisieren bzw. ihre Konstituierung zu verhindern. In Italien und Frankreich schreckte die im Jahre der Verkündung der Truman-Doktrin gegründete CIA nicht vor „verdeckten Aktionen“ zugunsten antikommunistischer Kräfte zurück, die in Wahlkämpfen mit reichlich Bargeld aus den Kassen des US-amerikanischen Geheimdienstes versorgt sowie von politischen „Beratern“ tatkräftig unterstützt wurden. Was sagte doch Truman vor dem US-Kongress über die Notwendigkeit „freier“ Wahlen?
Fünftens stellte schon damals eines der vordringlichsten Elemente der US-Außenpolitik die Sicherung des freien Zugangs zu den Rohstoffen überall auf der Welt dar, besonders aber die Sicherstellung freier Zugänge zu den Erdöl-Förderstätten im Nahen und Mittleren Osten. Ohne diesen strategischen Rohstoff konnte die Produktionsmaschinerie in den USA nicht störungsfrei funktionieren. In jener Zeit unternahmen deshalb die Truman-Administration und die weltweit operierenden US-Mineralölkonzerne alles in ihrer Macht Stehende, um durch die Erlangung von Förder-Konzessionen, die Gewährung von finanzieller, wirtschaftlicher und militärischer „Hilfe“, die ständige Präsenz einer starken Flotte im Mittelmeer und die Installierung von Marionetten-Regimes, die Region des Nahen und Mittleren Ostens in eine „Einfluss-Sphäre“ der USA zu verwandeln.
Sechstens erscheint es nicht verwunderlich, dass die genannten Elemente der Neuausrichtung der Außenpolitik des US-Imperialismus zu einer Konfrontation mit der UdSSR führen mussten. Nur zwei Tage vor Trumans Rede im Kongress hatte in Moskau eine Außenministerkonferenz begonnen, die hinsichtlich der Friedensverträge mit Deutschland und Österreich sowie in der Frage der Reparationen den Durchbruch bringen sollte. Mit Trumans Rede am 12. März 1947 war diese Chance über Nacht vertan. Die USA verweigerten endgültig der von den Hitler-Armeen geschundenen Sowjetunion den bereits auf der Konferenz in Jalta zugesagten 10-Milliarden-Dollar-Kredit. Zugleich lehnten sie die vereinbarte Zahlung von Reparationen auch aus den Westzonen an die UdSSR ab, die jetzt einen Teil ihrer gewaltigen Kriegsverluste durch Demontagen und Entnahmen allein aus der laufenden Produktion ihrer Zone zu kompensieren versuchte.
Politik der „leeren Phrase“
Von nun an war der Kalte Krieg die Konstante in den internationalen Beziehungen. Wie wir heute wissen, bestand mehr als einmal die Gefahr, dass er in einen „heißen“ Krieg mit der Anwendung von Atomwaffen hätte einmünden können. Die „Truman-Doktrin“ bildete die Ouvertüre für den Kalten Krieg. Die damals vorgetragenen ideologischen Bemäntelungen der von den nackten Interessen des US-Kapitals und seiner Politiker verfolgten außenpolitischen Strategie, derer sich der US-Präsident bediente, stellen einen selten erreichten Gipfel der Heuchelei dar. Oder wie es der Historiker David Horovitz formulierte: „Angesichts der unverhüllten Einmischungen der USA erwiesen sich die Versprechungen der Truman-Doktrin, dass die USA die freien Völker gegen Druck von außen unterstützen und ‚den freien Völkern bei der freien Entscheidung über ihr Schicksal behilflich sein würden’ als leere Phrasen.“